
Hunde und Qualzucht: noch größer. Noch kleiner. Eine noch kürzere Schnauze, dafür hervorquellende Augen. Noch mehr Falten, einen noch abfallenderen Rücken. Was mit unseren Rassehunden passiert ist aus gesundheitlicher Sicht eine Katastrophe – und dennoch scheint sich kein Verband wirklich um das Problem Qualzucht und Hunde zu kümmern. Denn dass es ein Problem ist, das sieht eigentlich jeder – nur offenbar die Verbände nicht. Oder wollen es nicht sehen. Oder dürfen nicht – wie auch immer. Jedenfalls: Auf der Seite des VDH führt die Volltextsuche nach dem Begriff „Qualzucht“ zu keinem Ergebnis (Stand: 27.11.2013). Das sieht ein bisschen aus nach: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Von wegen: Mopsfidel
Der Mops ist ja eigentlich ein lustiges Kerlchen – mopfsfidel halt. Von irgendwo muss der Begriff ja herkommen. Aber mopfsfidele Möpse gibt es nicht mehr allzuviele, den meisten quellen die Augen hervor, dass man fürchtet, beim nächsten Niesen fallen sie ganz heraus oder sie hecheln bzw. keuchen derart, dass man ihnen schon kaum mehr zutraut, von der Straße auf den Gehsteig zu springen.
Deutscher Schäferhund – die Coupé-Variante
Laut Standard sollte beim Schäferhund der Widerrist den höchsten Punkt des Rückens bilden. Was sich so harmlos anhört hatte in den vergangenen Jahren katastrophale Folgen: „der höchste Punkt“ wurde von Züchtern mit „so hoch als möglich im Verhältnis…“ übersetzt und aus dieser schwachsinnigen Interpretation entstanden Schäferhunde, deren Rücken so stark abfiel, dass sie kaum mehr laufen konnten. Die Hinterbeine unnatürlich angewinkelt war die Hüftgelenkdysplasie noch eine der harmloseren Nebeneffekte. Wenn man bei vorzüglich bewerteten Schäferhunden den Körbericht liest, dann taucht immer wieder die Formulierung: „hoher Widerrist“ auf – voilà. Das zeigt, wohin die Beurteilung geht: ein möglichst hoher Widerrist, sprich eine möglichst tiefe Hinterhand. So ein Schwachsinn.
Von einem Gebrauchshund konnte jedenfalls keine Rede mehr sein – kein Wunder verliert der Deutsche Schäferhund zunehmend an Boden gegenüber Malinois und ähnlichen Hunden.
Der Labrador – Showlinie: eher Freakshow
Ursprünglich war der Labrador ein „kräftiger“ Hund. „Substanz“ sagt der Formrichter dazu – und angeblich hilft viel auch viel. Ergo wurden die Labradore auf „Substanz“ gezüchtet und wurden immer kräftiger. Sagen die Züchter. Das unvoreingenommene Auge meldet: Sie wurden immer unförmiger. Labradore aus Showlinien sehen manchmal aus wie ein Marzipanbrot auf Beinen. Und genauso schauen sie einen auch an: Ausdruckslos und ein bisschen grenzdebil. Man stelle sich nur vor, so ein Hund müsste heute noch ins kalte Wasser springen und ein Netz ans Land ziehen. Oder – ein bisschen einfacher – über einen Teich ins Schilf schwimmen um dort eine geschossene Ente zu apportieren.
Chihuahua – Loch im Kopf als Zuchtmerkmal
Der Chihuahua war schon immer klein. Schon in Mexiko. Jetzt ist er noch kleiner geworden – es werden Hunde gezüchtet (und zum Teil auch prämiert), die nur gut 500 Gramm wiegen. Aus dem mutigen Kerlchen ist ein Abklatsch seiner selbst geworden – kläffen tut er noch immer, und er wäre auch gerne ein richtiger Hund. Nur, das kann ins Auge gehen – bzw. ins Hirn. Denn den Kleinhunden wurde ein so großer Kopf angezüchtet, dass sie erstens nur noch selten auf natürlichem Weg zur Welt kommen und zweitens oftmals eine offene Fontanelle haben. Sprich: ein Loch im Kopf. Patscht ein anderer Hund jetzt etwas unglücklich auf den Zwerg, so kann das sein Ende sein. Und zwar sein plötzliches.
Und was macht der VDH dagegen?
Man müsste jetzt annehmen, dass der VDH – Verband für das Deutsche Hundewesen – Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um dem züchterischen Treiben ein sofortiges und nachhaltiges Ende zu setzen. Bestehunde.de hatte eine Liste von Fragen an Udo Kopernik gesandt – seines Zeichens Sprecher des VDH. Als Antwort haben wir unter anderem einen Verweis auf einen Artikel von ihm bekommen. Aus diesem beziehen wir die folgenden Informationen (Den Artikel finden Sie: hier).
„Es ist keineswegs so, dass die Züchter sich solche Formen der Übertypisierung ausdenken und sich damit einen Markt schaffen. Es ist der Markt, der solche Trends begünstigt und im Gegenzug sein Gewissen damit beruhigt, wenn er auf die Züchter schimpft.“
Aha. Wir verstehen das also richtig: Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage – die potentiellen Käufer kommen also zum Züchter und sagen: „Hörnsemal, ich hätte da gerne einen Hund mit Augen die fast rausfallen, weil – find ich cool. Könnense mal züchten?“ Und der Züchter sagt: „Klaro, wenn ich 10 Interessenten zusammenhab, dann mach ich.“ Hä?
„Die Entwicklungen im letzten Jahr, als Medien und in deren Folge auch die Politik ein besonderes Augenmerk auf die brachyzephalen Rassen richteten, sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie oberflächlich sowohl die Wahrnehmung als auch die Suche nach Lösungsansätzen bleibt.“
Brachyzephale Rassen – das sind übrigens die mit den weggezüchteten Nasen. Also – wir fassen zusammen: Aus Sicht des VDH sind zuallererst mal die Medien schuld, weil sie auf dieses Problem aufmerksam machen – und dann bleibt die Suche nach Lösungen oberflächlich. Kopernik führt als Beleg dafür das englische System an, nachdem ein Tierarzt einen Hund von der Ausstellung ausschließen kann, wenn er gesundheitliche Probleme hat. Allerdings, so Kopernik, sei dieses System wirkungslos, weil vom persönlichen Blickwinkel abhängig und außerdem seien an der fraglichen Ausstellung nur 15 von 20.000 Hunden untersucht worden, was schlicht nicht aussagekräftig sei.
Der VDH ist gegen Qualzuchten – kann aber leider wenig tun
Natürlich mache der VDH etwas gegen Qualzuchten – nur sei das leider erfolglos, weil die Anzahl der VDH-Züchter ständig zurückginge zu Gunsten der wilden Züchter, die sich nicht um die Vorgaben des VDH scheren. Die freiwillige Selbstkontrolle des VDH führe also nicht zu einer Verbesserung der Situation, sondern im Gegenteil zu einer Verschlechterung, weil es immer weniger Züchter gebe, die sich den strengen Auflagen des Verbandes unterwerfen wollten – und dafür immer mehr die, siehe oben, den Forderungen der Käufer nach glubschäugigen und schwer atmenden Tieren nachkommen wollen. Fazit: Wir tun was, können aber nichts tun. Blöd. Kopernik unterfüttert diese These mit den Suchergebnissen im Internet: Man findet Hunderte von nicht-VDH-Züchtern in diesen Portalen. Das stimmt zweifellos. Aber nur weil andere es noch schlechter machen ist das kein gutes Argument für eigene Unzulänglichkeiten. Und dass es im Ausland noch schlimmer ist, ist auch kein wirklich stichhaltiges Argument, hierzulande die Füße stillzuhalten…
Die Logik des VDH ist stringent und scholastisch einwandfrei aufgebaut: Wir sind streng ergo: viele Züchter laufen weg und züchten wild ergo: unsere Strenge hilft also nicht ergo: wenn wir weniger streng wären wären mehr Züchter im VDH ergo: dann wäre es besser. Die argumentative Kette ist nicht neu, die kennt man seit altersher aus den Lehrbüchern der Rhetorik. Politiker und Verbandsleute nutzen sie besonders gerne.
Was könnten die Verbände tun?
Was wir von den Verbänden erwarten, ist eine klare und öffentliche Stellungsnahme zu Zuchtproblemen. Eine öffentliche und klare Verurteilung von Qualzuchten, eine klare und deutliche Ächtung von verantwortungslosen Züchtern und auch eine Unterstützung der Idee, kranke Hunde von Zuchten auszuschließen. Denn das wäre ein erster Schritt – auch wenn er nicht perfekt wäre. Es wäre einer. Denn gerade bei den wilden Züchtern sind die Show-Ergebnisse bares Geld wert. Und wer es sonst nicht lernt, der lernt es immer noch am schnellsten über das Portemonnaie. Man könnte natürlich auch einfach nur VDH- oder andere Verbandszüchter zu Shows zulassen – so wie man in einem Landesverband sein muss, um an gewissen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Wie gesagt, man könnte. Man müsste dann aber auch.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir behaupten keinesfalls, der VDH sei für Qualzuchten. Wir glauben nur, dass er zu wenig dagegen unternimmt.
Titelbild: bigstockphoto /stryjek