Alle – oder zumindest fast alle – Tierheime, Tierrettungsstationen, Tierauffanglager im In- und Ausland kastrieren generell alle Hunde – einige dieser Institutionen kastrieren auch junge und jüngste Hunde, andere wiederum haben in ihren Verträgen festgehalten, dass die neuen Hundebesitzer das Tier spätestens beim Erreichen der Geschlechtsreife kastrieren sollten. Kaum ein Hund, kaum eine Hündin verlässt eine Tierschutz-Organisation ohne kastriert zu werden. Generell. Immer. Prophlyaktisch. Es herrscht Massenkastration im Tierschutz.
Warum wird wild drauflos kastriert?
Das berechtigte und richtige Hauptanliegen des Tierschutzes ist es, die Population der Hunde zu verkleinern, unerwünschten Nachwuchs zu verhindern und damit mittel- bis langfristig das Elend der Hunde zu verringern. Dies ist eine durchaus richtige Überlegung und kaum jemand zweifelt an der Sinnhaftigkeit dieser Überlegung. Allerdings: genau das könnte man mit einer Sterilisation auch erreichen und erst noch billiger, einfacher, schneller und weniger riskant für die Hunde.
Tierschützer argumentieren wie Massentierhalter
Wir haben ein Dutzend Tierheime, Auffangstationen etc. im In- und Ausland angefragt, warum sie ihre Hunde kastrieren und nicht sterilisieren: Die Antworten gleichen sich auffallend und vor allem gleichen die Antworten denen von Massentierhaltern wenn sie nach dem Grund für das Enthornen von Rindern, das Kürzen von Schnäbeln oder das Kupieren von Ferkelschwänzen gefragt werden: „Dadurch, dass so viele Hunde auf engstem Raum zusammenleben hilft die Kastration die Aggressionen vor allem bei Rüden zu minimieren.“ Das heißt nichts anderes, als dass auch im Tierschutz eine auch nur annähernd tiergerechte Haltung der Hunde nicht stattfindet.
Heiligt der gute Wille die Mittel?
Offenbar agieren viele Tierrettungs-Organisationen nach dem Motto „Masse statt Klasse“ und nehmen so gut wie alle Hunde auf, die irgendwie noch Platz haben – oder auch nicht. Damit das einigermaßen gut geht, werden die Hunde kastriert – generell und ohne medizinische Indikation. Und das soll richtig sein, nur weil die Idee, Hunde zu retten richtig ist?
Kastrations-Programme zur Populationsverkleinerung
In einigen Ländern finden Kastrations-Programme statt. Auch hier ist der richtige Gedanke Ursprung der falschen Tat: Werden kastrierte Hunde wieder „in die freie Wildbahn“ entlassen, so bewirkt dies nur kurz- bis höchstens mittelfristig eine Reduzierung der Hundepopulation. Die Tiere sind nicht blöd und Studien haben gezeigt, dass innerhalb überraschend kurzer Zeit intakte Rüden und Hündinnen von außerhalb die Regentschaft übernehmen und sich sogar stärker als normal vermehren. Man könnte dies ziemlich einfach vermeiden, indem man die Hunde sterilisieren würde – sie wären unfruchtbar, aber vom Hormonhaushalt her noch intakte Rüden, die sich weiter paaren würden wie bisher – nur halt erfolglos. Der Eingriff ist zudem billiger und für Hunde weniger riskant.
Es spicht mehr für Sterilisation als für Kastration
Es gibt gute Gründe, einen Hund oder eine Hündin zu kastrieren – aber deutlich weniger, als gemeinhin angenommen wird. Es gibt medizinische Indikationen und es gibt auch Fälle, in denen ein Rüde von einer Kastration profitiert – das soll nicht in Abrede gestellt werden. Aber eine Kastration hat auch zahlreiche Nachteile, mehr jedenfalls, als die meisten Hundehalter wissen (wollen) – Interessierten sei das Buch „Kastration beim Hund“ von Gabriele Niepel ans Herz gelegt.
Wenn es allerdings um das berechtigte Anliegen geht, die unkontrollierte Vermehrung zu verhindern, dass spricht wenig für die Kastration und vieles für die Sterilisation:
Was spricht für die Sterilisation?
Eine Sterilisation (Vasektomie), bei der lediglich die Samenleiter (beim Rüden) bzw. die Eileiter (bei der Hündin) durchtrennt werden ist ein wesentlich geringerer Eingriff als eine Kastration. Besonders beim Rüden ist die Sterilisation im Vergleich zur Kastration schon fast ein Klacks – entsprechend günstiger wäre dieser Eingriff auch. Die Tierheime, Notaufnahmen und Tierrettungen würden Tausende von Euros sparen können, würden sie die Hunde sterilisieren statt kastrieren.
Bei einer Sterilisation bleibt der Hund hormontechnisch intakt – es ist tatsächlich nur die „Leitung unterbrochen“. Das heißt: Der Hund benimmt und verhält sich ganz normal, es tauchen keine Nebenwirkungen auf und – sollte sich später eine Kastration aufdrängen könnte sie immer noch gemacht werden.
Dass kastrierte Rüden öfter als Mobbingopfer herhalten müssen ist ein weiterer Punkt – noch ist das nicht ganz erwiesen, viele Beobachtungen sprechen dafür und mittlerweile nimmt sich auch die Forschung dieses Themas an.
Das Hauptziel, die Vermeidung von unerwünschtem Nachwuchs kann mit einer Sterilisation genauso sicher aber billiger, schneller und mit weniger Risiken für den Hund erreicht werden.
Was spricht für die Kastration?
Grundsätzlich wenig. Sie ist teurer, hat mehr Nebenwirkungen, ist für den Hund riskanter. Der einzige Punkt, der für eine Kastration spricht ist der, dass sich die Rüden tatsächlich untereinander weniger zoffen und dass sie sich weniger für läufige Hündinnen interessieren. Im Klartext: Es gibt weniger Streit – den es aber vor allem deshalb gibt, weil die Hunde viel zu eng aufeinander gehalten werden (müssen).
Viele Tierschutzorganisationen argumentieren mit der gesundheitlichen Prophylaxe: Die Kastration vermindere bei der Hündin das Risko von Gesäuge- und Gebärmuttertumoren und beim Rüden das Risiko von Hodenkrebs. Das ist richtig: Was nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr krank werden – mit der gleichen Argumentation wurde vor nicht allzulanger Zeit das Kupieren verteidigt: Kupierte Ohren vermindern Ohrenentzündungen und kupierte Ruten das Risiko einer Wasserrute – allerdings findet langsam ein Wechsel in der Einstellung zur Kastration statt. Nur ist zu befürchten, dass Tierheime von dieser neuen Entwicklung noch lange keine Kenntnis nehmen werden.
Dass der Tierschutz Hunde kastriert widerspricht dem Tierschutz
Es ist schön und gut, dass Menschen Hunde von ihrem Elend erlösen wollen. Wenn das allerdings nur auf dem Weg möglich sein soll, dass hunderte von Hunden in ein Tierheim oder eine Auffangstation gepfercht werden, dass sie kastriert werden müssen um ansatzweise ein halbwegs friedliches Zusammenleben zu ermöglichen, dann ist der noble Gedanken der Hunderettung zwar durchaus zu erkennen und auch anzuerkennen, es hat mit Tierschutz aber nichts mehr zu tun – es ist dann die Art von Massentierhaltung, die zu recht bei Rindern, Hühnern, Kälbern, Schweinen etc. kritisiert wird.
Kleinere Tierheime? Wer entscheidet, welcher Hund gerettet wird?
Es ist richtig, dass weniger Hunde gerettet werden könnten, wenn die Tierheime weniger Not leidende Tiere aufnehmen würden. Da aber auch jetzt nicht alle Hunde gerettet werden findet auch jetzt schon eine willkürliche Auslese statt – und wenn das Ziel einfach ist „so viele Hunde wie möglich“ zu retten, dann sollte man sich kritisch hinterfragen, ob das wirklich noch eine Rettung ist oder nur eine Pseudo-Hilfe. Was aus menschlicher Sicht nach Rettung aussieht – nämlich hunderte von Hunden zusammen zu sperren – kann (!) für Hunde mehr Stress bedeuten als sich täglich dem Überlebenskampf stellen zu müssen.
Dass elend gehaltene Hunde gerettet werden sollen, wird keineswegs in Abrede gestellt. Die Frage, worin diese Rettung aber bestehen soll, muss gestellt werden dürfen.
Plädoyer für Sterilisation im Tierschutz
Wir halten die herkömmliche Praxis der Massenkastration im Tierschutz für falsch, für nicht Tierschutz-kompatibel, für zu teuer und zudem mit zu vielen Nebenwirkungen für die Hunde behaftet. Die Sterilisation würde das Problem der ungewollten Vermehrung genauso gut (wenn nicht besser) lösen. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoller, mit dem gesparten Geld Sterilisierungsaktionen durchzuführen – und es wäre auch sinnvoller, auch wenn man das nicht gerne hört, weniger Hunde zu retten und diese dafür etwas artgerechter unterzubringen – wir können bei aller Hochachtung und dem Respekt vor den Leuten, die sich in der Tierrettung engagieren in der Situation wie sei in vielen überfüllten Tierheimen herrscht keinen echten Tierschutz mehr erkennen.
Einen interessanten Artikel zum Thema „Vasektomie beim Rücekn“ von Tierarzt Rückert finden Sie hier.
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