Also, er stammt natürlich schon vom Wolf ab – ein bisschen. Aber eben nur ein bisschen – ungefähr so, wie der Mensch vom Affen abstammt. Eigentlich stammt der Hund von seinen Vorfahren ab, von den Wölfen, die die Nähe zum Menschen suchten und seitdem in seinem direkten Umfeld leben. Hunde stammen also von Vorfahren ab, die sich konsequent anders verhalten als Wölfe: sie suchen Nähe statt Weite, es sind Kulturfolger statt Kulturflüchter, sie bilden eine Gemeinschaft mit artfremden Lebewesen statt nur mit ihresgleichen, und, und und. Warum ist das so wichtig?
Futterunverträglichkeit als Marketing-Aussage
Der Wolf muss vorwiegend immer dann herhalten, wenn es darum geht, Hundefutter zu verkaufen – vor allem natürlich solches, das zu keinerlei Futterunverträglichkeit führt, oder wenn Hundetrainer Ihre Kompetenz beweisen müssen – zu ersterem kommen wir noch, das zweite zeigt sich darin, dass das Argument, jemand habe 2 oder 3 Wochen „unter Wölfen gelebt“ oder „Wölfe beobachtet“ dazu herhalten muss, dass er jetzt auch versteht, wie Hunde ticken. Da könnte man genauso gut 3 Wochen lang Affen beobachten und sich dann damit brüsten, man verstehe jetzt ganz genau, wie Menschen denken, fühlen und handeln. Das ist natürlich Blödsinn.
Der Hund stammt nur beim Fressen vom Wolf ab
„Haben Sie schon mal einen Wolf genüsslich Getreidestängel kauen sehen?“ Diese Killerfrage stellen Leute, deren Sendungsbedürfnis darin besteht, alle Menschen zu Barfern zu bekehren. Die Frage ist natürlich perfid, natürlich sieht man keine Wölfe Getreidestängel kauen – man sieht eigentlich überhaupt keine Wölfe. Man sieht aber auch keine Wölfe ein Halsband tragen, in einer Wohnung schlafen, Fuß laufen oder Agility machen. Weil es nämlich Wölfe sind. Und eben keine Hunde – was natürlich wiederum nicht heißt, dass barfen nicht eine ganz ausgezeichnete Art ist, einen Hund zu ernähren.
Der erste „Hauswolf“ hatte keine futterunverträglichkeit
Stellen wir uns vor, wir lebten vor rund 10 – 15.000 Jahren, sitzen abends gemütlich vor unserem Zelt und stellen fest, dass sich seit Tagen einige Wölfe in unserer Nähe aufhalten. Schüchtern noch und auf Distanz aber immerhin so, dass wir sie bemerken. Nach und nach stellen wir fest, dass es gar nicht so doof ist, einen Wolf in der Nähe zu haben, denn offenbar droht von ihm keine Gefahr, im Gegenzug aber bietet er einen gewissen Schutz vor wilden Tieren, zumindest durch sein warnendes Geheule. Also, so stellen wir fest, lohnt es sich, etwas in diesen Nützling zu investieren. Futter eignet sich immer besonders gut zur Motivation – und was glauben Sie, was diese Menschen dem Wolf zu fressen gaben? Das beste Stück Fleisch, das sie finden konnten? Eher nicht – die Wölfe kriegten die Abfälle. Dinge, die der Mensch nicht essen konnte, wollte oder die verdorben waren. Und im Zweifel immer das, was am einfachsten wieder zu beschaffen war. Also Dinge die nicht wegrannten: Früchte, Gemüse, Kräuter, Getreide, und so weiter – aber ganz sicher kein hochwertiges Fleisch. Sondern Knochen und das was man heute als tierische Nebenerzeugnisse bezeichnet: Innereien, Haut, Hufe, etc.- wir vermuten wohl richtig, dass diese Wölfe kaum unter einer Futterunverträglichkeit litten.
Die Wölfe überlebten auch mit „unnatürlicher Nahrung“
Überraschenderweise sind die Wölfe auf dem langen Weg zum Hund an dieser Ernährung nicht gestorben – sie haben sich vielmehr daran angepasst und daran gewöhnt. So weist eine schwedische Forschung nach, dass heutige Hunde Kohlenhydrate deutlich besser verwerten können als Wölfe. Sprich: Der Magen-Darm-Trakt hat sich mit der Zeit bestens an die neuen und einfacheren Ernährungsgewohnheiten angepasst. In diesem Zusammenhang muss auch mit dem Märchen aufgeräumt werden, der Wolf sei ein reiner Fleischfresser – ist er nicht. Er ist nicht mal ein Carnivor sondern stammt von diesen ab: Aus den Carnivoren entwickelten sich die Canoiden (Hundeartige) und die Feloiden (Katzenartige). Und aus den Canoiden entwickelten sich die Caniden – und erst das sind Wölfe. Bären, Marder, kleine Pandas und Walrosse gehören übrigens auch zu den hundeartigen Raubtieren, sind also ebenfalls Carnivoren und fressen teilweise doch nur Pflanzen. „Fleischfresser“ ist ein übersetzter Begriff aus der Systematik und bezeichnet lediglich, dass es sich um ein Raubtier handelt – was es frisst, erschließt sich aus der Systematik nicht.
Fast das gleiche Schauspiel findet übrigens in Großstädten vor unseren Augen statt: Die Füchse – ebenfalls Hundeartige – sind gerade auf dem gleichen Weg, wie die Wölfe vor ihnen. Sie folgen der Zivilisation und das Beutschema verändert sich von Maus zu Pizza – ohne, dass sie deswegen gleich reihenweise sterben würden oder unter einer nennenswerten Futterunverträglichkeit leiden würden.
Der Hund ist ein funktioneller Allesfresser
Die jahrtausende lange Domestizerungsphase hat aus dem Wolf einen Hund gemacht und der wiederum wurde zum so genannten funktionellen Allesfresser mit einer Vorliebe für Fleisch. Der Hund war gezwungen, auch in unmittelbarer Nähe des Menschen, sich Tag für Tag seine Überlebensration zusammen zu suchen – und dabei durfte er nicht wählerisch sein. Entsprechend fraß er, was ihm vor die Schnauze kam – viele Hundehalter können heute noch ein Lied von diesem Teil des Ur-Hund-Erbes singen: Der Hund frisst einfach alles. Wäre er ein Fleischfresser reinsten Wassers, hätte viele Leute das Problem mit den Pferdäpfeln, mit rumliegenden Pommes etc. nicht. Die Betonung liegt auf wäre und hätten.
Für Hunde war es schlicht überlebenswichtig, sich alles irgendwie fressbare möglichst schnell einzuverleiben – was man hat, hat man. Der Hund hat deshalb die Prüfung, ob sich etwas als Nahrung eignet auch in den Magen verlegt: Bleibt es drin – fein. Kommt es wieder hoch, wars ungeeignet. Hunde erbrechen sehr schnell und meist ist das kein Problem sondern eben nur die Folge von: „Ok, war ein Versuch wert.“
Warum dann getreidefreie Ernährung?
Ein Hund muss gar nicht getreidefrei ernährt werden – eigentlich ist es dem Hundekörper ziemlich wurst, woher die Energie kommt. Am liebsten nimmt er sie natürlich vom Fleisch – ist ja auch leckerer. Aber – und DAS ist der springende Punkt: Hunde leiden keineswegs unter getreidehaltiger Ernährung – sie leiden einfach nur unter schlechter Ernährung. Wie Menschen übrigens auch. Essensabfälle waren selbstredend auch nicht hochklassiges Futter für Hunde – aber sie waren, zumindest in grauer Vorzeit, unter dem Strich und über Wochen und Monate ziemlich ausgewogen. Und zudem waren die Ursprungs-Produkte weder genetisch über- oder fehlgezüchtet, noch wurde Weißmehl verwendet, noch wurden Antibiotika verwendet, noch, noch, noch – und DAS ist das Problem. Die meisten Hunde – zu Ausnahmen kommen wir noch – vertragen gutes Getreide in aufgeschlossener Form durchaus. Aufgeschloßen heißt: vorverdaut, also gekocht oder sonst wie aufbereitet. Gutes Getreide heißt Urgetreide, aber ganz sicher nicht Weizen-Weißmehl in großen Mengen. Wenn Sie ihren Hund also mit Resten von dem füttern, was Sie selbst essen und sich selbst gesund ernähren, dann hätten sie in den meisten Fällen auch kein Problem mit einer Futterunverträglichkeit. Was allerdings in den billigen Fertigfuttern verwendet wird ist in den meisten Fällen wirklich nur das allerbilligste und das schadet auf Dauer dem Hund. Nicht primär weil es Getreide ist, sondern weil es einfach schlechtes Futter ist.
Warum werden Hunde immer nahrungs-empfindlicher?
Stimmt das überhaupt oder ist das Einbildung? Beides – grundsätzlich sollte ein gesunder Hund mehr oder weniger alles fressen und vertragen können (natürlich gibt es Ausnahmen wie Avocados, Zwiebeln, Rosinen, etc. die für Hunde giftig sind). Immer mehr Hunde allerdings weisen Sensibilitäten, Unverträglichkeiten oder sogar Allergien gegenüber Futter auf – und sehr oft gegen Getreide. Wobei auch hier gilt: Wohl nicht gegen Getreide generell sondern gegen „tot-raffiniertes“ billiges Weizenmehl in schlechter Qualität und dafür in großer Menge – dass es echte Unverträglichkeiten und Allergien gibt, steht außer Frage.
Das industriell verarbeitete Getreide das heute den Hunden – und den Menschen – verfüttert wird, ist tatsächlich nicht besonders gesund, es ist vor allem aber aus ernährungstechnischer Sicht ziemlich wertlos. Und kann – beim Hund wie beim Menschen – zu Unverträglichkeiten und sogar Allergien führen – vor allem durch das Gluten, das als Allergieauslöser erster Güte gilt.
Farbzuchten als Verstärker von Nahrungsunverträglichkeiten?
Fellfarben haben eine weit größere Bedeutung als nur die der Farbe – einige Farben weisen eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten oder körperliche Schäden auf: Taubheit, Haut- und Fellprobleme, Augenkrankheiten, etc. sind teilweise Folgen der Farbzucht bzw. werden von dieser verstärkt. Während dieser Zusammenhang als gesichert gilt, steht die Erforschung des Zusammenhanges zwischen Fellfarbe und Magen-Darm-Problemen noch ganz am Anfang. Dass ein Zusammenhang bestehen könnte, kann man nachvollziehen, wenn man sieht, in wie vielen Hundeforen das Thema „Mein Hund verträgt dies oder das nicht“ angesprochen wird. Und sehr oft sind es Hunde bestimmter Farbschläge, die unter einem empfindlichen Magen-Darm-Trakt leiden: Merle, Blau, Black&Tan, oder großer Weiß-Anteil.
Ein weiterer Faktor, der noch sehr am Anfang steht, ist die Epigenetik die sehr grob formuliert besagt, dass Krankheiten aber auch Wesensveränderungen vererbt werden können, ohne dass ein funktionales Gen daran beteiligt ist, sondern dass bestimmte Gene durch die Umwelt „aktiviert“ werden können.
Fazit: Der Wolf ist nicht schuld an der Nahrungsunverträglichkeit
Ja, der Hund stammt vom Wolf ab – aber auf dem langen Weg vom Wolf zum Haushund hat er sich hervorragend den neuen Gegebenheiten angepasst. Wenn Hunde also zunehmend unter Futterunverträglichkeiten leiden, dann hängt das weniger damit zusammen, dass sie vom Wolf abstammen, sondern dass erstens in der Zucht diese Problematik zu wenig ernst genommen wird und dass zweitens die Unverträglichkeit oftmals nicht vom Produkt als solchem herrührt, sondern von dessen minderer Qualität.