„Nichts machen, die regeln das unter sich…“ schallt es hinter der dicken Eiche hervor und ein Mann mittleren Alters schaut halb belustigt, halb bewundernd zu seinem Rüden, der gerade im Begriff ist, einen anderen Hund zu besteigen. Der Hundehalter lehnt sich etwas zurück und genießt es, seinen Hund in der offenbar „dominanten“ Position zu sehen. So lange, bis der untere Hund sich loswindet, sich umdreht und den Aufsteiger lauthals anknurrt, ihn anspringt und mehrmals laut knurrend nach ihm schnappt. Als dann auch noch ein Blutstropfen zu sehen ist ändert die Meinung von „die regeln das unter sich“ schlagartig in „was haben Sie denn für einen aggressiven Köter.“ Alltag? Nicht ganz – aber auch keine ungewöhnliche Situation.
Wenn Hunde aufreiten, soll man das als „natürliches Verhalten“ tolerieren – oder soll man es unterbinden? Wenn es denn so einfach wäre, denn „Aufreiten“ ist nicht gleich „Aufreiten“. Mindestens drei unterschiedliche Grundarten des gibt es:
Aufreiten als Lernspiel
Im Welpenalter spielen Hunde – ähnlich wie alle Säugetiere – miteinander, um sich relevante Fähigkeiten im sozialen Umgang für das spätere Leben anzueignen. Im Rahmen dieser Lernspiele gehört auch das Aufreiten. Auch bei Welpen und Junghunden sind schon sexuell motivierte Aktionen zu sehen, genauso wie das Imponierverhalten. Dennoch sind diese Ursachen im Welpenalter anders zu bewerten. Eine „sexuelle Komponente“ ist bei diesen Hunden zwar zu erkennen, wird aber – wenn wir den Begriff verwenden wollen – von den Hunden selbst nicht so wahrgenommen. Das Gleiche gilt für das Imponiergehabe. Es wird angewendet und gelernt, aber weniger bewusst. Ähnlich vielleicht mit Kindern im Kita-Alter: Auch hier finden „Machtspiele“ statt – die aber von den Kindern nicht so empfunden werden.
Bleibt es beim spielerischen Erlernen dieser Verhaltens-Elemente, so ist alles gut. Aber bereits im Welpenalter gilt: Beobachten. Auch bei jungen Hunden kann sich ein Verhalten festigen und später als „Standardprogramm“ abgespult werden.
Bei pubertierenden Hunden ist das Aufreiten zwar auch noch eine Art Lernspiel, hat hier aber – logisch – bereits eine sehr viel stärkere sexuelle Komponente.
Aufreiten mit sexueller Absicht
Dem Ruf der Natur folgend, ist das Aufreiten in den meisten Fällen sexuell motiviert – und das ist den Hundehaltern im Allgemeinen eher peinlich. Vor allem, wenn ihr ach so souveräner Rüde einen Kastraten besteigt. Sexuell motiviert? Bei dem? Das Weltbild so mancher Hundehalter gerät aus den Fugen. Und dennoch: Das Verhalten ist sexuell motiviert. Dabei ist es – zumindest für Menschen – überraschend, dass das häufigste Aufreiten mit sexueller Absicht gar nicht zwischen intaktem Rüden und läufiger Hündin vorkommt. Das liegt daran, dass in unserem Umfeld diese Begegnungen relativ selten ohne Aufsicht vorkommen und dass eine Hündin einen Rüden ziemlich schnell mal ordentlich einnordet, wenn sie noch nicht bereit ist.
Intakter Rüde besteigt Kastraten – die häufigste Version
Sehr häufig werden Kastraten von intakten Rüden bestiegen – und auch das ist in den meisten Fällen ein sexuell motivierter Akt. Tatsächlich riechen viele Kastraten in den Augen – besser: in der Nase – von intakten Rüden besser als eine Hündin. Oder mindestens genauso gut – mit Ausnahme der Stehtage, die werden natürlich durch nichts getoppt. Warum genau das so ist und inwiefern der Zeitpunkt der Kastration einen Einfluss hat ist Gegenstand einer aktuellen Doktorarbeit. Viele Anzeichen weisen aber darauf hin, dass die Kastration eines Rüden diesen in den Status einer Hündin versetzt und dass dies durch den Zeitpunkt der Kastration noch verstärkt werden kann. Erste Beobachtungen zeigen, dass Frühjahrskastraten deutlich häufiger von intakten Rüden als „Hündin“ angesehen werden als Hunde, die im Herbst kastriert worden sind.
Das Aufreiten eines Rüden auf einen Kastraten ist also aus Sicht des Hundes ein normales (riecht wie eine Hündin, wird auch so behandelt) sexuelles Verhalten – ob der kastrierte Rüde damit glücklich ist, bleibe mal dahin gestellt. Aber Kastration generell ist ja ein Thema, über das sich die Geister scheiden.
Sexuelles Aufreiten sieht anders aus
Auch wer die Körpersprache der Hunde nicht perfekt kennt, kann explizit sexuell motiviertes Aufreiten von anderen Formen unterscheiden: Aufgestiegen wird in diesem Fall tendenziell von hinten, die Hüftbewegungen sind nicht zu übersehen und die körperliche Erregung in den meisten Fällen ebenso wenig. Und so ist das sexuell motivierte Aufreiten auch die Version, die in unserer asexuellen Welt am ehesten noch von Hundehaltern unterbunden wird – nicht primär aus Angst vor ungewolltem Nachwuchs, sondern weil uns Sex in der Öffentlichkeit einfach peinlich ist.
Aufreiten als Imponiergehabe
Was wir häufig als Dominanz bezeichnen ist in Wirklichkeit – oder zumindest fachlich korrekter – eigentlich „nur“ ein Imponiergehabe. Ja. Aufreiten ist in vielen Fällen ein Imponiergehabe. Der Hund – ob Rüde oder Hündin ist dabei egal – will einem anderen imponieren, ihn beeindrucken. Und er tut dies, indem er ihn einschränkt, ihm Bewegungsfreiheit nimmt. Deshalb wird dieses Aufsteigen in den allermeisten Fällen seitlich erfolgen: Kopf auf die Schulter legen, sich mit dem ganzen Gewicht auf den Hund legen und versuchen ihn entweder zu Boden zu drücken oder ihn zumindest sehr stark einzuschränken.
Imponieren muss man nur Rivalen
Ein souveräner Hund – auch einer mit einer sehr ausgeprägten Individualdistanz – wird nur dann imponieren wollen, wenn es Sinn macht: wenn nämlich ein Rivale in Sichtweite ist – sonst ist dieses Getue unnötig und braucht bloß Ressourcen. So kann man gut mal einen Rüden beobachten, der als „sozial situativ verträglich“ gilt, wie er sich in aller Ruhe von einem Jungspund besteigen lässt – scheinbar ohne dass es ihn auch nur ansatzweise interessiert. Derselbe Hund versteift sich aber sofort, drückt die Beine durch, spannt die Rute an, und fängt an zu imponieren, wenn ein Rivale ins Sichtfeld kommt.
Geht es mit dem Aufsteigen weiter, so hängt der Ausgang von der „Laune“ und den Erfahrungen der Kontrahenten ab: Im Video unten wird der schwarze Labrador vom weißen Schäfer bestiegen, es folgt ein kurzes Gerangel und der schwarze zeigt ein ausgeprägtes defensives Drohverhalten. Übersetzt: Er „sagt“: „Ok, wir können das auch ohne echten Streit lösen – an mir soll´s nicht liegen. Falls Du da mitmachst, ist das ok – falls nicht: Ich werde mich wehren.“ Der weiße Schäfer geht auf das Angebot ein, und damit ist die Situation geklärt. Würde auf der anderen Seite der Aufsteiger nicht nachgeben, ist ein schöner und heftiger Kampf vorprogrammiert. Im Idealfall bleibt es dann immer noch bei einem ritualisierten Kampfspiel – dem Kommentkampf. Abe eine falsche Bewegung oder eine missverständliche Aktion kann dann reichen, um einen echten Kampf auszulösen – und dann fließt Blut. Mindestens.
Aufreiten ist ein natürliches Verhalten – deswegen aber nicht nett
Nur weil Aufsteigen ein natürliches Verhalten ist, heißt das noch lange nicht, dass es sich auch um ein freundliches Verhalten handelt. Aufreiten zu Imponierzwecken hat immer die Intention, den Gegner zu beschränken. Das ist natürlich. Aber das ist natürlich nicht nett.
Aufreiten aus sexueller Motivation ist ebenso natürlich – aber ebenso natürlich kann das unglaublich stressen. Sowohl den aufreitenden Hund als auch das „Opfer“ – und auch die Hundehalter sind gerne mal durch so eine Situation gestresst.
Einschub: Wechseln wir den Sichtwinkel und betrachten das Sozialverhalten und das soziale Verhalten von Menschen und nehmen etwas Körperliches wie das „den Arm um die Schulter legen“. Auch hier gibt es verschiedene Ursachen: die spielerische zwischen Kindern, die sexuell motivierte wenn ein Mann seiner Freundin den Arm um die Schulter legt wenn ein „Rivale“ auftaucht (das tut er nicht, wenn ein 80jähriger Mann ins Blickfeld kommt) oder das vordergründig freundschaftliche Arm auflegen: Wenn der Chef wohlwollend seinem Angestellten die Hand auf die Schulter legt – oder der Vater dem Sohn – und ihn damit eindeutig beschränkt und ihm den sozialen Status nochmals klar macht.
Die Wirkung hängt also von der Motivation und vom Umfeld ab: Gehen Sie doch einfach mal los und legen einem wildfremdem Menschen den Arm um die Schulter. Und dann beschweren Sie sich bitterlich, wenn er sich wehrt. Sie zeigen ja nur ein natürliches Verhalten!
Wann ist das Aufreiten ein Problem?
Etwas vereinfacht gesagt: Wenn der Hund auf Dauer gar keine anderen Kommunikationsmöglichkeiten mehr wahrnimmt außer dem Aufreiten, dann ist es ein ernsthaftes Problem. Das gilt sowohl für das sexuell motivierte als auch für das imponierende Aufreiten.
Hypersexuelle Hunde leiden unter ihrer Sexualität – sie können nichts anderes mehr denken, sie können sich nicht konzentrieren – alles dreht sich nur noch um das Eine: Rauf auf den nächsten Hund und begatten. Erkennbar am Schaum vor dem Mund, am grenzdebilen Gesichtsausdruck und am Zähneklappern. Wenn ein Hund so reagiert, dann liegt der Verdacht auf Hypersexualität nahe. Dann hat man ein Problem, und der Hund auch.
Ähnliches gilt für das Imponierverhalten: Wenn ein Hund fast zwanghaft jedem imponieren muss, wenn er nicht davon abzulenken ist, wenn scheinbar jeder Gedanke nur noch darum kreist, dem anderen zu zeigen, wer die dicksten Haufen macht – und wenn das mit Aufreiten entsprechend umgesetzt wird, dann besteht ein Problem.
Im ersten Fall ist hier möglicherweise eine Kastration angezeigt (möglicherweise!), während im zweiten Fall das Problem erzieherisch angegangen werden muss. Wir schreiben bei der Kastration bewusst möglicherweise, weil auch genau das Gegenteil passieren kann: Auch unsichere Hunde steigen auf – wird ein „Schisser“ kastriert, steigt aber das Risiko, dass sich seine Unsicherheit noch verstärkt – oder auch in eine Aggression kippen kann.
Soll man Aufreiten jetzt unterbinden?
Nur weil etwas ein natürliches Verhalten ist, muss es noch nicht akzeptiert werden. Ich bin ein Verfechter des Unterbindens – ich will nicht, dass mein Rüde einem Weibchen wie bekloppt hinterherläuft und sie ständig besteigen will und ich will nicht, dass er jeden gefühlten Rivalen herausfordert um zu beweisen, wer der coolere Typ ist. Ich unterbinde dieses natürliche Verhalten so konsequent wie möglich und ich unterbinde es auch in den meisten Fällen, wenn mein Hund bestiegen wird. Wenn ich sehe, dass er sich adäquat wehren kann und wenn ich vermute, dass der andere Hund vernünftig auf die Drohungen reagiert, dann lasse ich dem „Spiel“ seinen Lauf. Wenn ich aber auch nur schon den Verdacht habe, dass entweder mein Hund überreagiert, oder der andere sich auf ein klares defensives Drohverhalten nicht einlässt – dann unterbinde ich es.
Dazu muss ich mich allerdings zumindest in der Nähe meines Hundes befinden – Hundehalter, die ihre Hunde außerhalb des direkten Einwirkungsbereiches und / oder außer Sicht lassen die haben jede Berechtigung verloren, sich zu beschweren, wenn ich ihren Hund von meinem schubse.
Bilder: Hundestunde-Berlin