
Dass man den klassischen Methoden der ebenso klassischen Tierheilkunde kritisch gegenüberstehen kann oder sogar soll, ist klar. Dass man den Tierarzt fragen darf – oder sogar soll – ob denn die von ihm als Erstes vorgeschlagene Methode sinnvoll ist: geschenkt. Dass man im Zweifelsfall eine Zweit- oder auch eine Drittmeinung einholen soll: Prima. Wer aber klassische Behandlung- und Prophylaxe-Methoden in Bausch und Bogen verurteilt (wir sprechen vom Thema Hunde impfen), der denkt nicht nur mindestens so eindimensional wie die Befürworter denen er ebendies vorwirft – er oder sie gefährdet dadurch unter Umständen Gesundheit und Wohlergehen des Tieres – nicht nur des eigenen – und handelt damit tierschutzrelevant.
Impfgegner sind militanter als Impfbefürworter
Radikale Impfgegner (und ich spreche bewusst nicht von Impf-Kritikern) argumentieren sektenähnlich: absolut, unüberprüfbar, populistisch und mit scholastischen Argumentationsketten. Sätze wie: „Die Wahrheit über Impfungen“, „Impfungen bestehen ausschließlich aus Giften“, „Impfungen verursachen Krebst und Autismus“, „Impfen nützt nur dem Tierarzt“ etc. stehen oft am Anfang einer Litanei von Anschuldigungen. Befürworter von Impfungen werden – gerade in sozialen Netzwerken und wohl auch auf dieser Seite – gerne mit dem Hinweis „dann vergiften Sie Ihre Hunde halt weiter“ in die Ecke der unverantwortlichen, „chemiegläubigen“ und von der Veterinärmedizin- und -wirtschaft indoktrinierten, unkritischen Tierhalter gestellt.
Bei näherer Betrachtung der „Argumente“ wird allerdings schnell klar, dass der gesunde Menschenverstand auf Seiten der erbitterten Impfgegner nicht wirklich die Basis einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema ist. Und während die Impfgegner den -befürwortern „Wissenschaftsgläubigkeit“ vorwerfen ist ihnen im Gegenzug jeder heilig, der einen kennt, der von einem weiß, der einen wie auch immer gearteten Hinweis für die Gefährlichkeit aller(!) Impfungen hat.
Impfungen sind an allem schuld!
Um oben erwähnte Aussage vordergründig glaubhaft erscheinen zu lassen, genügt ein sprachlicher Kniff: die rhetorische Frage, die streng genommen gar keine ist, sondern eine indirekte Behauptung die in der grammatikalischen Form einer Frage daherkommt: „Warum werden unsere Hunde immer kranker?“, „Warum steigen autoimmunaggressive Erkrankungen?“ und „Warum wird immer noch verheimlicht, wie viele Hunde nach Impfungen erkranken oder sogar sterben?“ (impfschäden-hund.de) – diese Fragen implizieren, dass es sich bei diesen Behauptungen um Tatsachen handelt – ohne allerdings den lästigen Weg der Beweisführung gehen zu müssen. Behaupten ist viel einfacher als belegen. Auch die Wortwahl – „verheimlicht“ – rückt den Kritiker dieser Behauptung verbal in die Ecke einer Verschwörergruppe, der alles zuzutrauen ist, auch das systematische Vergiften von Hunden mittels Impfungen.
Impfungen verursachen Autismus
Es war Andrew Wakefield, der 1998 verkündete, die Kombi-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln könne Autismus auslösen. Impfgegner beziehen sich heute noch auf Wakefield, ungeachtet der Tatsache, dass seine Forschungsergebnisse gerade mal auf 12 Kindern basiert und dem Arzt 2010 aufgrund unethischer Forschungsmethoden die Zulassung entzogen wurde.
Aber das Gerücht ist nun mal in der Welt, und so werden Impfgegner nicht müde, zu behaupten, impfen könne auch bei Hunden zu Autismus führen. Nebenbei bemerkt: Autismus gilt als „angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns“ beschrieben. Eine Impfung am Welpen soll also eine angeborene Störung auslösen. Nun ja.
Impfungen bestehen aus Gift
Vor allem Quecksilber wird gerne dazu herangezogen, die Gefährlichkeit von Impfstoffen zu belegen. Quecksilber ist natürlich ein (Nerven)Gift. Keine Frage – allerdings ist der Begriff „Quecksilber“ zumindest irreführend. Verwendet wird Thiomersal, eine Quecksilberverbindung die als Konservierungsstoff verwendet wird – unter anderem auch in Reinigungslösungen für Kontaktlinsen. Quecksilber (oder eben Thiomersal) kann durchaus Kontaktallergien hervorrufen. Wenn auch selten.
Aber auch hier ist die Formulierung das Problem: Impfstoffe enthalten Quecksilber und das ist schlecht… in der Homöopathie, also genau in dem Bereich, den die meisten Impfgegner als „gut“ bewerten, wird Quecksilber (Mercurius solubilis) in verschiedener Form gegen Entzündungen von Mandeln, Mittelohr, Darm und gegen Akne und Gürtelrose eingesetzt. Ja… sagen die Homöopathen und Impfgegner: es kommt auf die Dosis drauf an. Genau: Aber das selbe Argument müsste auch für Impfstoffe gelten: diese enthalten durchaus sehr wenig Quecksilber (richtigerweise allerdings mehr, als Globuli, bei denen gar kein Quecksilber mehr nachzuweisen ist).
Impfungen helfen nur dem Tierarzt
Tun sie nicht. Ein Tierarzt würde tatsächlich an der Behandlung eines kranken Tieres (zum Beispiel bei Parvovirose) deutlich mehr verdienen als an der Impfung dagegen. Das Gleiche gilt für Staupe, Tollwut, etc. pp. – generell: Eine Krankheit heilen ist deutlich teurer als sie verhindern.
Impfschäden sind geheimnisvoll
Auch so ein Killerargument: „Die Dunkelziffer der Impferkrankungen ist sehr hoch!“ – wie hoch, weiß keiner, aber die Impfgegner offenbar doch, denn viele Krankheiten werden „nicht im direkten Zusammenhang“ mit Impfungen erkannt. Wenn ein Hund also irgendwann im Alter müde wird, nicht mehr gut frisst oder sonst ein Leiden aufweist so ist er in bestimmt durch eine Impfung im Welpenalter derart vorgeschädigt, dass das halt einfach hat kommen müssen. Es ist ein bisschen wie im Film „Männer die auf Ziegen starren“ wo George Clooney die Geschichte erzählt wie ein Kampfkunstmeister einmal mit einem Dim-Mak-Schlag nur leicht angetippt wurde. Der Kampfkunstmeister sei daraufhin gestorben – nach 18 Jahren. Denn das sei das Tückische an einem solchen Schlag, man wisse nie, wann die Wirkung eintrete.
Einzelfall steht über der Statistik
Es ist wie beim Entwurmen: Einzelfälle werden dazu herangezogen, eine Sachlage zu verallgemeinern und zu bestätigen. Frei nach dem Motto: 3 Monate nach der Impfung litt mein Hund unter Durchfall… Der Fairness halber muss angemerkt werden, dass es Impfschäden gibt. Zweifellos. Aber nicht jeder epileptische Anfall drei Monate nach einer Impfung, nicht jeder Krampfanfall 72 Tage nach einer Impfung ist tatsächlich ein Impfschaden. Und schon gar kein Hinweis darauf, dass die Impfung per se Schäden verursacht. Ein Einzelfall ist schlicht nicht aussagekräftig und könnte mit gleicher Berechtigung genau andersrum auch vertreten werden. Die Argumentation wäre genau so schwach.
Wenn wir lesen, dass wir 67,9% aller Hunde, die einen Tumor oder eine Wucherung an einer Impfstelle aufweisen, diese Wucherung innerhalb von 3 Monaten nach dem Impfen bekommen haben, und dass wir zu 95% sicher sein können, dass diese Wucherung durch die Impfung selbst hervorgerufen wurde, so klingt das schon erschreckend. Wenn wir aber die Statistik weiter anschauen stellen wir fest, dass 1,1% der Hunde überhaupt eine Wucherung an der Impfstelle aufwiesen. Jetzt klingt das schon wesentlich weniger dramatisch. Wenn wir jetzt noch wüssten: was genau unter Wucherung zu verstehen ist (Tumor klingt immer sehr gefährlich), dann würden wir vielleicht feststellen, dass es sich (auch) um eine Fettwucherung, einen Grützbeutel oder „normale“ Verdickungen handeln könnte wie sie bei jedem Einstichkanal vorkommen können.
Fazit: Unsinnige Argumentation
Ein Beispiel möge stellvertretend für die oftmals hahnebüchene Argumentation der kategorischen Impfgegner gelten: „Laut Canine Health Concern konnte man bei etlichen Welpen nach umfassenden Impfaktionen Autismus und Epilepsie beobachten.“ (zentrum-der-gesundheit)
- Der Canine Health Concern ist in erster Linie ein Shop. Der „Concern“ wurde 1994 von Catherine O’Driscoll gegründet nachdem ihre beiden Golden Retriever an schlechtem Hundefutter gestorben waren.
- „bei etlichen Welpen“ heißt? Richtig – gar nichts.
- „nach umfassenden Impfaktionen“ – unklar, was damit gemeint ist, es wird auch nicht näher erläutert.
- „Autismus beobachten“ – nun ja, das klingt insofern logisch als Autismus eine angeborene Krankheit ist und es nur natürlich ist, dass man das bei Welpen beobachten kann.
Blinde Tierarztgläubigkeit ist auf jeden Fall fehl am Platz, nicht nur beim Thema impfen. Ja, immer noch gibt es Tierärzte die entgegen aller Richtlinien massiv überimpfen. Das Gegenteil ist aber mindestens genau so falsch: Blinde und absolute Verteufelung von Impfungen entbehrt nicht nur jeder Grundlage sondern auch jedem gesunden Menschenverstand nachdem es kaum etwas gibt, was nur schwarz oder nur weiß ist. Richtig ist auch, dass die Tiermedizin Fortschritte macht – gewiss auch in die Richtung des weniger und dafür gezielteren Impfens. Richtig ist auch, dass es tragische Fälle von Impfschäden gibt. Trotzdem – oder eben genau weil es diese tragischen Fälle gibt – ist es aber kreuzverkehrt, den gesamten Impfprozess in Frage zu stellen oder zu verteufeln. Das wäre das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Wer sich informieren will findet im Buch „Haustiere impfen mit Verstand“ ein durchaus kritisches Werk, das mit den Nachteilen von Impfungen nicht gerade sparsam umgeht.
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