
Tatsächlich soll es Menschen geben, die in einem Fahrradweg nichts anderes sehen, als einen Weg für Fahrräder. Beziehungsweise natürlich für Menschen auf Fahrrädern. Selten in der Geschichte der Zivilisation war ein Irrtum verbreiteter und hielt sich hartnäckiger als dieser. Ein Fahrradweg soll ein Fahrradweg sein? Fassungslos steht man dieser Argumentation gegenüber und fragt sich, wie aufgeklärte, moderne Menschen nach wie vor einen solchen Unsinn glauben können.
Ein Fahrradweg ist mehr
Ein Fahrradweg ist viel, viel mehr als nur ein Weg für Fahrräder. Er ist etwas Geheimnisvolles, ein Mysterium – ja, man könnte sagen: Die Geschichte des Fahrradweges ist eine Geschichte voller Missverständnisse – und nicht wenige sagen über so einen Weg, er habe magische Kräfte.
Und das stimmt.
Wenn man genauer hinsieht, dann erkennt man die geheime, fast feinstoffliche Macht eines Fahrradweges – aber es bedarf Geduld, Ruhe und Konzentration um hinter das Geheimnis zu kommen:
Nehmen wir den Fahrradfahrer als solchen, unabhängig von Geschlecht, Alter und sozialem Status und betrachten sein Verhalten in freier Wildbahn, außerhalb seines Reservates:
Der gemeine Fahrradfahrer
Verkehrsregeln im Allgemeinen und rote Ampeln im Besonderen nimmt der gemeine Fahrradfahrer nicht nur nicht gerne sondern gar nicht zur Kenntnis. Er verweigert sich jeglicher Erläuterung, geschweige denn, dass er ihren Sinn erkennen wollen würde – jedenfalls nicht für sich selbst.
Der Fahrradfahrer hat in seinen eigenen Augen – alleine der Tatsache geschuldet, dass er sich ohne Unterstützung eines umweltschädlichen Verbrennungsmotors fortbewegt, mehr Existenzberechtigung als alle anderen Verkehrsteilnehmer. Auch mehr als die Fußgänger, obwohl die auch keinen Motor haben, aber die bewegen sich auch nicht wirklich fort, die sind lediglich so eine Art Wanderbaustelle.
Kommt es nun zur Situation, dass ein Fahrradfahrer und ein Autofahrer gleichzeitig eine Straßenkreuzung benutzen wollen, so pocht der Fahrradfahrer natürlich selbstbewusst und unter Bezugnahme auf darwinistische Evolutions-Modelle auf das Recht des ethisch besseren. Die Stärke dieses Pochens hängt davon ab, wer an der Ampel „rot“ hatte. War der Autofahrer qua der Verkehrsregeln zum Anhalten gezwungen und tat dies nicht, wird er vom Fahrradfahrer als „blödes Arschloch“, „dämlicher Idiot“, „doofer Wixer“ etc. beschimpft und er tritt zweimal gegen die Autotür. Wäre hingegen der Fahrradfahrer gezwungen gewesen, anzuhalten, so wird der Autofahrer lediglich als „Arschloch“, „Idiot“, Wixer“ etc. beschimpft und der Fahrradfahrer tritt auch nur einmal gegen die Tür.
Das gleiche Verhalten tritt auf, wenn Fahrradfahrer sich auf dem Fußweg bewegen, auf einem Waldweg, in einem Park oder sonst wo.
Die Macht des Fahrradweges
Kaum jedoch befährt der Fahrradfahrer einen Fahrradweg, so gehen unerklärliche Dinge in ihm vor. Einer kafkaesken Verwandlung gleich mutiert der Verkehrsrüpel zum selbsternannten Polizisten beziehungsweise – je nach Intelligenzquotienten – zum Mitarbeiter des Ordnungsamtes. Innerhalb nicht mal einer halben Radumdrehung ist der Fahrradfahrer jetzt in der Lage, sämtliche Rechte, die er auf dem Fahrradweg zu haben glaubt auswändig und trotz körperlicher Anstrengung in einem Atemzug lauthals zu brüllen, sobald sich irgendwer, irgendwo unerlaubterweise auf ein, zwei Meter dem Fahrradweg nähert.
Während außerhalb seines Territoriums der Satz „Das ist ein Gehweg!“ vom Fahrradfahrer mit „Leck mich du Arsch“ kommentiert wird, werden jetzt, wo er sich auf dem Fahrradweg befindet, Fußgänger mit einem „Das ist ein Fahrradweg du Arsch“ bedacht.
Erblickt ein Fahrradfahrer einige Dutzend Meter vor ihm, und weniger als fünf Meter vom Fahrradweg entfernt einen angeleinten Hund, so lautet der wohlgemeinte Warnruf zur prophylaktischen Vermeidung eines möglicherweise für den Hund schmerzhaften Zusammenstoßes: „Nimm den Köter vom Fahrradweg, Du Arsch!“ – erblickt der Fahrradfahrer einen unangeleinten Hund, so warnt er hingegen mit „Nimm den dämlichen Köter an die Leine, du Arsch!“.
Während außerhalb des Fahrradweges die Radfahrer sämtliche Verkehrsregeln als unnötig, ideologisch auf Autofahrer zugeschnitten und deshalb als vollkommen unnötig und entsprechend zu ignorieren betrachten, halten sie, kaum sind sie auf dem Fahrradweg, sämtliche damit verbundenen Verkehrsrechte und –priviliegien als unumstößlich und wenn nicht mit physischer, so doch zumindest mit verbaler Gewalt durchzusetzen.
Wir sehen also, der Fahrradweg ist weit mehr als nur ein Streifen aus Asphalt oder Pflastersteinen. Er ist ein Geheimnis, ein Mysterium – er ist etwas ganz Besonderes.
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