
Tierheimhund oder Rassehund? Die Diskussion – oder besser: der Streit – um die Frage, ob es ethisch vertretbar sei, sich einen Rassehund zuzulegen, wo es doch so viele Tierheimhunde gibt, ist so alt wie das älteste Tierheim selbst. Es ist eine emotionale Diskussion und wird es wohl auch bleiben.
Kein Rassehund, weil die Tierheime voll sind?
Mhm – und womit sind die Tierheime voll? Mit Rassehunden? Nein. Mit Mischlingen! Die wenigsten Tierheimhunde sind Rassehunde. Man könnte also auch argumentieren, dass man sich ausschließlich Rassehunde aus verantwortungsvoller (und teurer) Zucht kaufen soll, da offenbar diese Hunde deutlich weniger oft in Tierheime abgegeben werden und somit nachhaltig das Elend in Tierheimen minimieren würden.
Keine Hundezucht, solange es Tierheimhunde gibt?
Laut Tierheimhelden.de „suchen“ im deutschspracheigen Raum jedes Jahr 300´000 Hunde ein neues Zuhause. Laut VDH wurden 2013 in Deutschland gut 70.000 Welpen aus registrierter Zucht verkauft, für den deutschsprachigen Raum dürften das dann um die 80 – 85.000 sein. Eine kurzer Quercheck durch die Tierheime hat ergeben, dass maximal (!) 15% der Hunde Rassehunde sind – im Im Berliner Tierheim waren es zum Zeitpunkt als der Artikel geschrieben wurde keine 10%. Einfach mal angenommen, diese Hunde stammen aus guter Zucht, dann würde das heißen, dass von den 300.000 Hunden in Tierheimen 12.000 Rassehunde sind und davon – das ist jetzt mal eine Vermutung – wiederum höchstens 15% aus guter Zucht stammen (also etwa 2.000). Würden alle Rassehunde (aus guter Zucht) durch Tierheimhunde ersetzt werden, so würden „nur“ noch 220.000 Hunde pro Jahr ein Zuhause suchen.
Züchter machen es nur wegen des Geldes?
Vermehrer ja, Züchter nicht wirklich – mit einer guten Hundezucht wird man nicht reich, aber das ist ein anderes Thema, das nochmals detailliert aufgezeigt werden wird. Dazu zwei Dinge: Dass Vermehrern das Handwerk gelegt gehört steht außer Frage – da ist jeder Einzelne gefragt, aber auch alle, die Einfluss nehmen können: allen voran die Politik, Polizei, aber auch die Medien, die – angefangen von E-Bay Kleinanzeigen über Gratisanzeiger und Fachzeitschriften – von Anzeigen durchaus profitieren. Zweitens: Was ist dagegen einzuwenden, wenn ein Züchter Geld mit seiner Arbeit verdient? Wäre es so schlimm, wenn er sogar davon leben könnte? Wer von uns arbeitet ausschließlich ehrenamtlich? Übrigens: Die Schutzgebühr für Tierheimhunde ist ein Witz – die Kosten werden nämlich von Spenden etc. getragen und teilweise durch Steuereinnahmen gedeckt (in seltenen Fällen) – sprich: Tierheimhunde sind subventioniert.
Natürlich arbeiten auch Tierheime nicht umsonst – die Kosten werden nur nicht von den Käufern getragen, sondern von Spendern und der Allgemeinheit.
Es soll doch ein passender Hund sein?
Immer wieder wird zu Recht darauf hingewiesen, dass man sich VOR dem Hundekauf Gedanken darüber machen soll, welcher Hund zu einem passt. Eine Rasse zeichnet sich unter anderen dadurch aus, dass sie physisch und auch charakterlich gewisse Eigenschaften aufweisen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten, zudem kann (!) ein Welpe richtig sozialisiert, an Situationen und Umweltbedingungen etc. herangeführt werden – das alles fällt beim Tierheimhund zwar nicht ganz weg, die Bandbreite ist aber größer, sprich: Ein Tierheimhund ist eher ein Überraschungskandidat als ein Rassehund.
Rassehunde vergrößern das Elend in Tierheimen?
Blödsinn – wenn schon so eine schwachsinnige Argumentation, dann müsste man sie genau andersrum formulieren – nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage: Je mehr Tierheimhunde ein neues Zuhause finden, umso mehr Platz ist im Tierheim wieder für neue Hunde frei. Das ist eine vollkommen bescheuerte Argumentation? Richtig – aber trotz allem nicht ganz so bescheuert wie die, dass Rassewelpen an der Überfüllung von Tierheimen schuld seien.
Hat es einen Grund, warum ein Hund im Tierheim sitzt?
Unbestritten ist, dass es Hunde gibt, die ohne Grund abgegeben werden – weil sie den Menschen schlicht nicht mehr passen. Meine Vermutung: Dieser Schritt fällt gewissen Menschen umso leichter, je billiger der Hund war – aus einem Rassehund könnte man ja sonst vielleicht noch ein paar Euro raus holen. Viele Hunde sitzen aber auch auf Grund von Vorkommnissen im Tierheim – ja, auch weil Sie angeblich aggressiv sind. Ob das Problem nun beim Hund oder beim Menschen liegt, ist erstmal für die Überlegung irrelevant, denn einer Familie mit Kindern, die einen Hund möchte kann ich nicht vorwerfen, dass sie lieber keinen Hund ins Haus holt, dessen Vergangenheit sie nicht kennt und nicht einschätzen kann.
Gibt es Anfängerhunde?
Immer wieder ist die Rede von Anfängerhunden – abgesehen davon, dass ich diesen Begriff nicht nur für falsch sondern für gefährlich halte: Ein Hund mit unbekannter oder schwieriger Vergangenheit, ein Hund mit negativen Erlebnissen von denen nicht mal alle bekannt sind, ein möglicherweise traumatisierter Hund, dessen grobe Charakterzüge man nur unzureichend kennt ist alles andere als ein Anfängerhund. Tierheimhunde und Ersthundebesitzer sind deshalb grundsätzlich keine ideale Paarung.
Nichts gegen Tierheimhunde
Tierheimhunde können sensationelle Hunde sein, Rassehunde auch. Jeder soll, darf und muss für sich entscheiden, was für ihn das richtige ist. Was nicht hilft, sind Aussagen und Anschuldigungen auf Bild-Niveau, die Käufer von Rassehunde als verantwortungslose Menschen bezeichnen und ihnen eine vollkommen falsche Mitverantwortung an überfüllten Tierheimen andichten, ebenso wenig wie Aussagen, die Tierheimhunde-Freunde als naive Gutmenschen titulieren. Tierheime und verantwortungsvolle Züchter haben gleichermaßen ihre Berechtigung – keine Berechtigung haben Massenzüchter, Welpen-„Produzenten“ die ihre Tiere aus Kofferräumen verkaufen, etc. Dann und vor allem dann, wenn diesen – ob der Begriff jetzt juristisch korrekt ist oder nicht – Verbrechern und Gaunern das Handwerk gelegt wird (ich entschuldige mich bei allen Handwerkern für diese Metapher), dann wird es nachhaltig besser werden mit der Überbelegung in Tierheimen. Und das Handwerk legt man diese Schurken nicht mit einer lächerlichen Geldstrafe oder dem Verbot, sich auf einem bestimmten Parkplatz aufzuhalten.
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