
Man liest es oft: Dass man den Hund „auch mal Hund sein lassen muss“ und nicht immer alles kontrollieren. Dass das sonst ganz arme Tiere seien, hirnlose „Soldaten“ mit einem „Kadavergehorsam“ sozusagen. Natürlichkeit sei angesagt, und eben – dass ein Hund auch mal Hund sein müsse.
Was heißt das: Hund muss Hund sein dürfen?
Die Argumentation „Mein Hund muss auch mal Hund sein dürfen“ taucht eigentlich immer nur dann auf, wenn der Hund etwas macht, was jemand anders nicht möchte – oder wenn der Halter auf ein (vielleicht auch nur vermeintliches) Fehlverhalten oder zumindest unerwünschtes Verhalten des Hundes angesprochen wird und wenn dieser Halter das Verhalten seines Hundes nicht unterbrechen kann oder will…
Die Frage: „Was meinen Sie mit: der Hund muss Hund sein dürfen?“ wird allerdings in den wenigsten Fällen beantwortet. Es ist ein Schlagwort, ein Totschlagargument – denn welcher Hundehalter lässt sich gerne sagen, dass sein Hund bei ihm eben nicht Hund sein dürfe sondern quasi ein charakterloses und seelenloses dafür umso gehorsameres Wesen sei?
Die Sache mit der Rangordnung
Ein Hund der einen anderen besteigt oder maßregelt der regelt – in den Augen der Besitzer – meist „nur“ die Rangordnung. Und das ist offenbar ganz normal. „Das ist eben so bei Hunden“. Nur: Welche Rangordnung soll geregelt werden? Eine Rangordnung mit fremden Hunden, die sie nie mehr sehen, geschweige denn mit denen sie zusammenleben? Wozu soll diese Rangordnung gut sein? Und warum soll ein Hund alleine das Recht haben, die Rangordnung so festzulegen, wie es ihm grade in den Kram passt? Eine Rangordnung – wenn wir denn diesen Begriff schon verwenden wollen – hat seine Berechtigung in einem stabilen sozialen Gefüge. Aber doch nicht auf dem alltäglichen Spaziergang.
Es sind durchaus nicht die gelassenen, souveränen Hunde, die ständig andere besteigen oder maßregeln müssen.
Den Hund Hund sein lassen – nur eine Ausrede?
Meistens ist die Aussage, dass man den Hund Hund sein lassen müsse weder böse noch negativ gemeint. Denn natürlich soll ein Hund sich so artgerecht wie nur möglich bewegen und verhalten können. Wer wollte dem widersprechen. Allerdings beschleicht einen der Verdacht, dass die Aussage lediglich ein Synonym für „Ich kann jetzt eh nichts machen“ ist. Unhöfliches Verhalten gegenüber anderen Hunden und natürlich auch Menschen hat nichts mit „Hund sein dürfen“ zu tun, sondern lediglich mit Unhöflichkeit.
Wer den Hund einfach mal Hund sein lassen will, der geht am besten mit ihm mal zwei, drei Stunden laufen, ohne Leine und lässt ihn sich auch mal im Schlamm wälzen, lässt ihn ausruhen und textet ihn nicht kontinuierlich zu und lässt ihn mit anderen Hunden spielen – aber er lässt seinen Hund nicht andere belästigen.
Wenn der Hund Hund sein soll, was darf er dann?
Der Hund soll also auch mal Hund sein dürfen? Prima. Aber warum ausgerechnet dann, wenn er andere Hunde anpöbelt? Warum nicht zuhause? Warum soll er nicht einfach mal das Essen vom Tisch klauen, wenn´s ihm doch schmeckt? Warum soll er die Katze nicht jagen? Warum nicht das Tischbein annagen, wenn ihm grade danach ist? Warum nicht ins Wohnzimmer pinkeln? Warum soll er nicht bellen und beißen wenn ihm grade danach ist? Warum soll er das Kaninchen nicht hetzen? Gerne auch über die viel befahrene Straße? Weil wir das nicht wollen – und wir wollen das nicht, weil es unser Wohlbefinden beeinträchtigen würde. Deshalb verbieten wir dem Hund, gewisse Dinge zu tun – und aus Ausgleich lassen wir dann zu, dass er andere belästigt. Denn dann stört uns das nicht, wir leiden ja nicht darunter. Kein sehr schöner Charakterzug.
Der Hund könnte – nebenbei bemerkt – viel öfter „Hund sein“, wenn er gelernt hat, mit anderen Hunden zu spielen ohne sie bedrängen und bepöbeln zu müssen. DANN könnte er Hund sein. Und hätte selber erst noch viel weniger Stress.
Nur ein erzogener Hund kann „Hund sein“
Wer seinem Hund möglichst viele Freiheiten lassen will und ihn möglischt oft „Hund sein lassen“ will, der tut gut daran, ihn gut und konsequent zu erziehen – denn dann kann der Hund deutlich öfter machen, worauf er Lust hat. Weil er weder eine Gefahr noch ein Ärgernis für andere ist. Das schließt intensives Spielen und Balgen mit Artgenossen nicht aus – im Gegenteil.