
Bestehunde.de hat sich mit Lars Thiemann verabredet – einem Dogwalker aus Berlin. Lars Thieman ist allerdings nicht „nur“ Dogwalker sondern Hundetrainer, Verhaltensberater, Sachverständiger etc. und war einer der ersten, der als professioneller Dogwalker arbeitete – er tut dies seit 1994. Wir treffen uns im Grunewald und während wir warten, sehen wir zahlreiche Hundehalter, die mit ihren Hunden ebenfalls laufen gehen – viele dieser Hunde bellen sich schon im Auto die Seele aus dem Leib und flutschen, kaum ist die Heckklappe der diversen Kombis auch nur eine Handbreit offen, nach draußen um bellend ihr ersten Runden zu drehen – quer über den Parkplatz. Und dann kommt der silberne Bus von Lars Thiemann – darin sind 13 Hunde, darunter seine beiden eigenen. Die Schiebetüre geht auf und es passiert – erst mal gar nichts. Nicht einer der Hunde stürmt nach draußen. Alle bleiben liegen – und dann wird einer nach dem anderen aufgerufen und darf nach draußen. Vor das Auto. Sich hinsetzen. Bis alle ordentlich draußen sind. Erst dann geht es los.
Bestehunde: „Ist dieses Aussteigezeremoniell jetzt für die Galerie, oder machst Du das jedes Mal genau so?“
Lars Thiemann: „Das ist tatsächlich ein Zeremoinell aber keinesfalls für die Galerie – das ist ein festgelegter Ablauf, der dazu dient, die Hunde auf das einzustimmen, was kommt – und sie zu konzentrieren. Es ist unglaublich wichtig, dass die ersten Minuten geordnet ablaufen – die Hunde freuen sich auf den Spaziergang – und wenn man diese Freude die ersten Minuten nicht kanalisiert, dann kann es schon mal überborden. Und bei einer Gruppe von 13 Hunden will man das nicht. Man will es eigentlich auch nicht bei einem einzelnen Hund.“
Bestehunde: „Du bist Dogwalker – das heißt, du spazierst durch den Wald und das mit Hunden, deren Halter zu faul oder zu beschäftigt sind, es selber zu tun?“
Lars Thiemann: (lacht) „Wenn es so einfach wäre. Aber Du sprichst ein heikles Thema an. Tatsächlich kann sich momentan jeder „Dogwalker“ nennen – wer einen alten Kombi hat, schnappt sich vier Hunde aus der Nachbarschaft und geht Gassi – und schon ist er ein Dogwalker. Das ist natürlich großer Mist und mit auch ein Grund dafür, warum ich mit ein paar Kollegen den BHD e.V. gegründet habe (Bundesverband der Hundebetreuer und Dogwalker). Tatsächlich gehe ich mit Hunden durch den Wald – mit „spazieren“ hat das allerdings wenig zu tun. Bei 13 Hunden ist Aufmerksamkeit und Vorausschauen notwendig um bereits im Vorfeld kritische Situationen zu vermeiden oder zu umgehen. Für sowas braucht man schon Erfahrung und idealerweise ein gerüttelt Maß an Sachverstand – uns sind die „unseriösen“ Dogwalker genauso ein Dorn im Auge wie vielen anderen auch.
Und zum zweiten Punkt: Das ist schon richtig – das zu beschäftigt, das faul eher nicht. Tatsächlich hat nicht jeder die Möglichkeit, pro Tag mit seinem Hund 2 oder mehr Stunden laufen zu gehen. Und schon gar nicht in einer Gruppe – für eine artgerechte Haltung des Hundes ist Bewegung, besonders in einer – stabilen – Gruppe eminent wichtig.“
Bestehunde: „Wie reagieren andere Hundehalter, wenn Sie auf eine Gruppe von Hunden stoßen – und wie sollten sie reagieren?“
Lars Thiemann: „Unterschiedlich. Das hängt sehr stark davon ab, wie ein Halter seinen Hund im Griff hat – einige gehen entspannt an uns vorbei, andere machen einen großen Bogen und wieder andere leinen ihren eigenen Hund voller Angst an.
Idealerweise würde das so ablaufen, dass Dogwalker und Hundehalter schon auf Distanz Sichtkontakt aufnehmen. Der Dogwalker sollte dann seine Gruppe etwas zur Seite nehmen und den anderen passieren lassen. Der wiederum sollte genau das tun – wenn er seinen Hund im Griff hat, braucht er ihn auch nicht anleinen. Er sollte ihn nur nicht in die fremde Gruppe reinlassen, das kann zu Missverständnissen und zu Ärger führen.“
Bestehunde: „Wie ist das mit den Wildschweinen? Gerade in Berlin gibt es ja unglaublich viele – ist das wirklich so ein Thema?“
Lars Thiemann: „Ist es. Wer tagtäglich mit seinen Hunden im Wald unterwegs ist – ob Dogwalker oder nicht – kommt früher oder später in Kontakt mit den Schweinen. Das lässt sich gar nicht vermeiden – allerdings sind da die Schweine unschuldig. Durch die Anfütterung und die Nähe zu den Menschen haben sie die natürliche Scheu verloren – außerhalb von Berlin trifft man viel seltener auf Schweine, obwohl es fast genauso viele hat.
Zurück zur Frage: Ja, es kann vorkommen, dass man auf Schweine trifft – deshalb, was ich vorhin sagte: man muss die Hunde beobachten, vorausschauen und vorausdenken – und dann halt auch mal einen anderen Weg einschlagen oder die Hunde ranrufen. Zur Not auch an die Leine nehmen. Denn eines ist klar: Jagen – das geht gar nicht! Das ist absolut tabu.“
Bestehunde: „Wir laufen jetzt grade entspannt mit 14 Hunden durch den Wald – darunter ein paar unkastrierte Rüden und erst noch ein vollkommen neuer „Gast“ in der Gruppe. Ist das eine ideale Gruppengröße?“
Lars Thiemann: „Die ideale Gruppengröße gibt es nicht – die hängt von der Gruppenzusammensetzung und der Erfahrung des Dogwalkers ab. Grundsätzlich gilt: Je neuer der Dogwalker, desto kleiner und homogener sollte die Gruppe sein – denn als Neuling kann man vielleicht 6 bis 8 Hunde überblicken. Mit der Erfahrung kann dann die Größe und die Heterogenität der Gruppe zunehmen. Wir haben heute trotz Deines Hundes eine ziemlich homogene Gruppe, die sich kennt und gut eingespielt ist – wäre das anders, könnte ich mich nicht mit Dir so intensiv unterhalten. Etwas überspitzt formuliert kann man sagen: es gibt Situationen, da ist ein unerfahrener Hundehalter mit einem Hund überfordert, und ein erfahrener Dogwalker hat sein 15-köpfiges Rudel noch gut im Griff – eine feste Zahl als ideal oder als „Soll-Zahl“ zu nennen ist deshalb falsch weil damit alle qualitativen Aspekte unberücksichtigt bleiben.“
Bestehunde: „Wenn Du 3 Hauptprobleme deiner Arbeit als Dogwalker benennen müsstest – welche wären das?“
Lars Thiemann: „Wenn ich gezwungen würde – Hmm. Also, dann wäre es erstens, dass sich wirklich jeder Dogwalker nennen kann. Das ist ein absolutes no-go – wir haben eine große Verantwortung gegenüber den Hunden, den Haltern, dem Wald, den Tieren im Wald. Da sollte man schon etwas von seinem Job verstehen – aber darum haben wir ja den BHD gegründet. Zweitens würde ich mir von einigen Hundehaltern etwas mehr Verständnis wünschen: Ein Dogwalker kennt seine Gruppe und weiß genau, wann er warum ausweichen muss. Da ist es dann sehr kontraproduktiv wenn jemand seinen Hund mitten in diese Gruppe brettern lässt – und das Geschrei ist dann groß, wenn die Gruppe sich geschlossen gegen den Eindringling wendet. Und drittens wünsche ich mir – das heißt uns Dogwalkern – mehr Unterstützung von der Politik. Wir wissen, dass wir den Wald nutzen – wie übrigens alle anderen Berliner auch – aber ich habe manchmal das Gefühl, uns werden Steine in den Weg gelegt. Aber da sind wir wieder beim ersten Punkt – wer mal bei einem seriösen Dogwalker mitläuft, der bekommt ein realistisches Bild von dem was wir tun und hat automatisch mehr Verständnis.“
Bestehunde: „Deine Gruppe Hunde läuft hier vollkommen entspannt – und mit sichtlicher Freude. Jetzt bist Du der, der den Hunden das angenehme Erlebnis ermöglicht – gehen die Hunde eigentlich noch gerne zu ihren Herrchen und Frauchen zurück, oder empfinden sie diese als Langweiler?“
Lars Thiemann: „Der Verdacht liegt tatsächlich nahe, gerade weil man ja auch davon ausgeht, dass die Bindung zwischen Hund und Mensch auch darauf basiert, wie viel die beiden gemeinsam unternehmen. Überraschenderweise ist das aber nur äußerst selten der Fall – tatsächlich gehen die allermeisten Hunde, und ich spreche hier von etwa 99% – sehr gerne wieder nach Hause. Die kapieren das absolut – das ist ein bisschen wie mit Kindern, die zum Sport gehen. Die haben Spaß, unternehmen was mit ihren Kumpels, der Trainer lenkt das alles in geordnete Bahnen – es tut ihnen gut, sie freuen sich, aber sie gehen gerne wieder nach Hause. Und kommen gerne wieder.“
Bestehunde: „Wer ist denn der typische Kunde eines Dogwalkers?“
Lars Thiemann: „Der typische Kunde hat vier Beine und ein Fell – nein, im Ernst. DEN typischen Kunden gibt es nicht – allerdings ist es schon so, dass die meisten Kunden nicht die Zeit haben, jeden Tag regelmäßig zwei Stunden mit dem Hund laufen zu gehen. Das ist wohl der gemeinsame Nenner aller Kunden. Man muss allerdings zugeben, dass ein Dogwalker auch etwas kostet – insofern ist unsere Dienstleistung ein Kostenfaktor, der nicht außer acht gelassen werden darf, und den man sich auch leisten können muss und will.“
Bestehunde: „Stichwort Kosten – und Stichwort jeden Tag: Wie oft sollte ein Hund mit dürfen und was kostet das?“
Lars Thiemann: „Zur Häufigkeit gibt es natürlich zwei Ansichten: meine und die des Kunden. Aus meiner Sicht ist es ideal, wenn ein Hund jeden Tag in der mehr oder weniger gleichen Gruppe mitläuft – soziale Stabilität ist für einen Hund sehr wichtig. Aber natürlich ist das ein Wunsch – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht, gar keine Frage. Ich denke, dass es gut wäre, wenn ein Hund drei Mal pro Woche mitkann. Dann kann eine gute Eingliederung in die Gruppe erfolgen. Kostenmäßig beläuft sich so eine Runde – die dauert etwa 2 ½ bis 3 Stunden, plus Abholen und wieder Abliefern, auf 21 Euro pro Tag. Wenn jemand seinen Hund jeden Tag mitlaufen lässt, dann kostet das 380 Euro pro Monat, bei drei Mal rund 250 Euro. Das ist zugegebenermaßen nicht wenig – aber, und das ist wesentlich: Es handelt sich hier um einen hochprofessionellen Service; dahinter steckt – bei mir, aber auch bei anderen – jahrelange, manchmal jahrzehntelange Erfahrung, Weiterbildung etc. Und auch eine Infrastruktur – ich nenne nur mal das Auto. Dazu kommen wie bei jeder anderen Dienstleistung auch: Steuern, Versicherungen etc.“
Bestehunde: „Zum Abschluss möchte ich gerne, dass Du auf Statements von mir eine möglichst kurze Antwort gibst.“
Dogwalker haben einen coolen Job – sie können mit Hunden spazieren gehen und werden dafür auch noch bezahlt.
Lars Thiemann: „Stimmt, wir haben einen coolen Job. Aber auch einen sehr anspruchsvollen – die Leute können nicht sehen, was dahinter steckt. Leider. Wir sind aber keine Hundespaziergänger – sondern Dogwalker.“
Martin Rütter hat mit seinen TV-Sendungen dazu beigetragen, dass die Leute für das Thema Hunderziehung sensibilisiert wurden.
„Das ist richtig – allerdings führt die Form der Darstellung auch dazu, dass die Leute das Gefühl haben, ein Problem sei in 45 Minuten zu lösen – dass das Monate dauern kann nehmen die meisten gar nicht wahr.“
Es ist viel besser, selber mit dem Hund laufen zu gehen, als einen Dogwalker zu engagieren.
„So möchte ich das nicht stehen lassen – wenn das Argument stimmen würde, dann würde das heißen: Sportvereine für Kinder sind Mist, die Eltern sollen das selbst machen. Geht aber nicht immer. Fakt ist: Dogwalker – ich verbessere mich: gute Dogwalker – tragen einen wesentlichen Beitrag dazu bei, dass Hunde im Alltag ausgeglichen und umgänglich sind. Eben weil sie sich unter Aufsicht artgerecht verhalten können.“
Bestehunde: „Vielen Dank für das Interview“
Nach knapp drei Stunden kamen wir wieder am Bus von Lars Thiemann an. Die Hunde waren sichtlich müde – und zufrieden. Einer nach dem anderen stieg in den Bus, legte sich auf seinen Platz und entspannte sich vollkommen. Drei Stunden im Wald mit 14 Hunden – mit dabei war unser eigener, dreijähriger unkastrierter Labradorrüde, als „Eindringling“. Und es gab keinen Stress, nicht in der Gruppe und nicht mit Hunden, die wir getroffen hatte – es hätte allerdings Stress geben können, wenn der nicht bereits im Ansatz erkannt und unterbunden worden wäre.
P.S.: Zum Thema: BHD – Berufsverband der Hundebetreuer und Dogwalker lesen Sie folgenden Artikel.
Bilder: Lars Thiemann