
„Wir erziehen unsere Hunde ausschließlich mit positiver Verstärkung“ liest man immer öfter auf den Webseiten von Hundetrainer und Hundeschulen. Und auch einige Hundehalter werden nicht müde zu behaupten, dass sie ihre Hunde ausschließlich mit dem Universalmittel der positiven Verstärkung erziehen. Alles andere sei vollkommen untauglich und würde nur das Vertrauensverhältnis zwischen Hund und Halter nachhaltig schädigen – das ist alles natürlich ganz großer Mist. Und das wissen die meisten auch – denn es ist ein großer Unterschied, ob man SAGT, dass man ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeite, oder ob man es auch MACHT.
Was ist positive Verstärkung überhaupt?
Positive Verstärkung heißt nichts anderes, als daß auf ein Verhalten des Hundes – und wir sprechen hier nur von Hunden – ein Ereignis folgt, das der Hund als positiv wahrnimmt. Die Folge: Die Wahrscheinlichkeit, dass er das Verhalten wiederholt steigt. Was ein positiver Verstärker ist, hängt vom Hund ab und läßt sich nicht verallgemeinern, wohl aber erraten. Lob, Futter, Streicheleinheiten dürften bei nahezu allen Hunden positiv wahrgenommen werden. Allerdings muss hier schon mal ein bisschen eingeschränkt werden: Ein Leckerchen ist zwar höchst wahrscheinlich ein positiver Verstärker, aber erstens nicht für alle Hunde, nicht in jeder Situation und auch nicht immer wieder. Wer ständig Leckerchen gibt, der vermindert das Positive an diesem Verstärker massiv.
Positive Verstärkung bedeutet also: Wir warten auf ein Verhalten, das wir als richtig erachten und in dem Moment, in welchem der Hund dieses Verhalten zeigt bekommt er einen Verstärker – das, was wir gemeinhin als „Belohnung“ wahrnehmen. Die erhoffte Folge: der Hund wird dieses Verhalten häufiger zeigen weil er es mit etwas Positivem verknüpft. Soweit so gut
Das Gegenteil von positiver Verstärkung ist die negative Verstärkung. Allerdings hat das nichts mit Bestrafung zu tun, sondern mit dem Entfernen eines störenden Umstandes. Während der Hund bei der positiven Verstärkung für sein Verhalten etwas bekommt, wird ihm bei der negativen Verstärkung etwas Unangenehmes weggenommen (was ja auch angenehm ist): z.B. der Leinenzug.
Ausschließlich positive Verstärkung ist illusorisch
Auch wenn wir es noch so gerne hätten: Erziehung und Ausbildung über ausschließlich positive Verstärkungen sind schlicht nicht möglich. Wer es versucht, wird zwangsläufig scheitern – weil es nicht geht. Niemals.
Die rein positive Verstärkung bedeutet ja nichts anderes, als dass wir abwarten, bis der Hund etwas macht, was er soll und dann dafür eine Belohnung erhält. Jetzt stellen wir uns einfach mal vor, sie spazieren mit Ihrem Hund und er schnuppert an etwas, was entfernt wie eine Wurst aussieht. Und in der Wurst glitzert es – sieht irgendwie wie Rasierklingen oder Schrauben aus. So. Jetzt können Sie hoffen, dass der Hund die Wurst nicht frisst, dann können sie ihn loben. Nicht „Nein“ rufen – das wäre ja eine Strafe. Um Gottes Willen – nur nicht strafen. Viel Glück. Für alle, die jetzt aufschreien: „Ja, so extreme Beispiele muss man ja nicht heranziehen“ sei gesagt: Doch. Denn „ausschließlich positive Verstärkung“ ist ebenso extrem.
Positive Verstärkung kann auch ins Gegenteil umschlagen
Nehmen wir mal an – die Situation ist übrigens nicht erfunden – wir möchten nicht, dass der Hund auf dem Sofa liegt (alternativ: frisch gewaschene Wäsche, Bett, Kinderdecke, etc.) Wie kriegt man das jetzt hin, mit ausschließlich positiver Belohnung? Man kann jetzt warten, bis der Hund freiwillig und zufällig vom Sofa geht und ihn sofort belohnen – rufen darf man ihn ja nicht, das ist ja schon eine Art „Zwang“. „Cool“ wird sich der Hund denken – „wenn ich da runter gehe, krieg ich was – hmm – da geh ich doch gleich wieder rauf und dann runter…“ Der Hund wird immer häufiger auf dem Sofa liegen und mit der Zeit erst dann runtergehen wenn er sicher ist, dass Sie auch ein Leckerchen dabei haben. Wer das für ein gesuchtes Beispiel hält, der möge sich beim nächsten Spaziergang auf die Hunde konzentrieren, die auf Zuruf sofort hergesaust kommen, sich ein Leckerchen abholen und gleich wieder losrennen… das ist das gleiche Verhaltensmuster.
Strafe hat nichts mit Gewaltexzessen zu tun
Hunde müssen für ihr Fehlverhalten bestraft werden – das machen sie übrigens auch unter sich so. Nun hat Strafe natürlich nichts mit brutaler Gewalt zu tun. Aber mit Gewalt im weitesten Sinne schon. Das Zurückhalten eines Hundes an der Leine, ein „Nein“ – all das ist schon Gewalt. Nur eben nicht brutal. Es dürfte klar sein, dass wir hier nicht die Verwendung von Stachelhalsbändern und ähnlichem propagieren. Ganz im Gegenteil. Aber die blauäugige und unreflektierte – und falsche – Verherrlichung einer Erziehung durch ausschließlich positive Verstärkung halten wir für genauso falsch. Und für fast genauso gefährlich.
Die Angst den Hund zu bestrafen ist die Angst, nicht geliebt zu werden
„Ein Hund, der durch Bestrafung erzogen wird, führt das Verhalten nur aus, um der Bestrafung zu entgehen. Er hat keine Freude daran und kein Vertrauen zu seiner Bezugsperson.“ Dieser Satz sagt ziemlich viel aus über die Einstellung zur Hundehaltung: Wir bestrafen den Hund nicht, weil wir nicht wollen, dass er uns nicht mehr lieb hat. Wer so argumentiert, der scheut sich davor, Verantwortung zu übernehmen. Der scheut sich davor, die Rolle des Rudelführers einzunehmen. Der scheut sich davor, seine Vorstellungen klar zu kommunizieren, der scheut sich vor Konflikten – der scheut sich vor genau dem, was sein Hund braucht, um Vertrauen aufbauen zu können: Klare Ansagen, Verlässlichkeit, Schutz.
Abgesehen davon, ist das Verhalten bei positiver Belohnung natürlich auch nicht viel anders: Der Hund führt dann das Verhalten nur aus, um eine Belohnung zu bekommen – mit Vertrauen hat das auch nichts zu tun.
Positive Verstärkung ist ok – aber niemals ausschließlich
Selbstverständlich ist nichts dagegen einzuwenden, seinen Hund in gewissen Verhalten positiv zu bestärken – es ist sogar sehr erfreulich, dass sich die Hundeerziehung in Richtung „gewaltfrei“ weiterentwickelt. Wenn die positive Verstärkung aber als allein seligmachende Erziehungsmethode propagiert wird und ins Sektiererische abdriftet, dann läuft etwas schief. „Wie fänden Sie es, wenn ihr Chef ständig darauf wartet, dass Sie einen Fehler machen, um sie dann zu ermahnen oder sogar zu bestrafen?“ Diese Frage wird auf der Seite einer Hundeschule gestellt und weiter: „Haben Sie Spaß daran? Macht Ihnen der Job Spaß?“ Da sind wir. Einerseits bei der Vermenschlichung, andererseits bei einer vollkommen falschen Argumentation. Denn die meisten von uns wünschen sich einen Chef, der Chef ist. Der klare Ansagen macht, der verlässlich ist, der lobt, wenn etwas gut ist und der Kritik äußert wenn etwas schlecht ist und der fordert und fördert… je nach persönlichen Fähigkeiten. Und genau so einen Chef wünscht sich auch unser Hund.
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